Krankheiten, Ackerbau, tote Fische: Als der Neusiedler See verschwand

Erstellt am 15. Mai 2023 | 06:15
Lesezeit: 8 Min
Neusiedler See historisch
Links: Ein aktuelles Luftbild des Neusiedler Sees. Rechts oben: Eine historische Karte. Der schmale blaue Strich zeigt die letzte verbliebene Wasserfläche, links dünkler ist Rust zu erkennen. Dazwischen liegt nur Gatsch. Rechts unten: Hier hat Läufer Andreas Penias an einem windigen Tag ein trauriges Bild für die Geschichtsbücher geschossen.
Foto: Österreichische Nationalbibliothek, Stadtarchiv Rust, Penias, Google, Collage: BVZ
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Von 1865 bis 1871 trocknete der Neusiedler See das letzte Mal gänzlich aus. Die BVZ nahm exklusiv Einblick in historische Aufzeichnungen aus dem Ruster Stadtarchiv.

Angesichts des niedrigen Wasserstands im Neusiedler See - trotz Dauerregens im April und Mai - wird auch immer wieder auf die vergangenen Trockenphasen hingewiesen. „Die Austrocknung als natürlicher Prozess“, argumentieren etwa Gegner der geplanten Zuleitung aus Rabnitz oder Moson-Donau. Tatsächlich trocknet der See in periodischen Abständen gänzlich aus - und kehrt bisher immer wieder zurück.

Ohne Folgen blieb dies für die Menschen allerdings schon Ende des 19. Jahrhunderts nicht. Heute, wo ein großer Teil der Bevölkerung und der Wirtschaft direkt oder indirekt am See hängt - laut Professor Peter Zellmann ein Viertel bis ein Drittel - wären die Folgen wohl noch weitreichender. Die BVZ wühlte sich durch historische Aufzeichnungen im Ruster Stadtarchiv, von Ratsprotokollen über Militärkarten bis zu Aufzeichnungen des Fischereiverbandes.

Trockenheit im Bild: schmaler Streifen Wasser

Eindrücklich zeigt eine Militärkarte aus dem Jahr 1872 die Austrocknung. Lediglich die blauen Stellen ganz im Osten zwischen Apetlon und Fertöd, bei der tiefsten Stelle des Sees, zeigen die letzte große zusammenhängende Wasserfläche. Ansonsten war der gesamte Neusiedler See bis auf kleine Lacken ausgetrocknet (siehe Bild).

Neusiedler See historisch
Eine historische Militärkarte von 1872 zeigt nur im Osten einen schmalen blauen Streifen - die verbliebene Wasserfläche des Neusiedler Sees zwischen Apetlon und Fertöd.
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Die letzte Austrocknung des Sees war aber kein Einzelfall. Aufzeichnungen belegen etwa, dass 1736 oder 1811 das Wasser gänzlich oder großteils verschwand. Auch vor zweitausend Jahren und im Mittelalter sind längere Trockenphasen verbrieft.

Das Verschwinden des Sees in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist dennoch ein besonderer Fall: Nach Dokumentationsstand trocknete der See in keinem Fall so lange und vollständig aus wie damals. Das Wasser verschwand auch nicht in Folge eines trockenen Jahres - vielmehr war es eine mehrjährige Dürre, die dem See den Garaus machte.

Unterschätzte Gefahren: Riskante Wanderungen, mehr Krankheiten

„Schon 1864 war der Wasserstand extrem niedrig und es bildeten sich trockene Stellen“, heißt es dazu in einer Aufzeichnung des österreichischen Fischereiverbandes: „Der Sommer des Jahres 1865 bereitete dann durch die heißen Tage, Föhnwinde und ausbleibendem Regen dem See ein rasches Ende.“

Der Schlamm, sonst am Seegrund, trocknete an der heißen Luft schnell aus, es bildeten sich Staubwolken, die vom Wind kilometerweit verschleppt wurden. Die Menschen am Ufer hielten diese Wolken oft für Rauch „einer Feuersbrunst am gegenüberliegenden Seeufer“.

Der Schilfgürtel ist verschwunden und Wiesen oder Felder aus demselben geworden. Ehemals frische Wiesen mussten aufgegeben werden und sind jetzt nur mittelmäßige Äcker. Die Fischerei hat schon seit einigen Jahren aufgehört, seit nämlich das Wasser immer weniger, aber das Salz immer mehr wurde.“ Aus einem Protokoll des Komitats Wieselburg vom Jänner 1866

Die harte Kruste an der Schlamm-Oberfläche lockte viele Fußgänger an - nicht ohne Gefahren, wie eine persönliche Schilderung im Ruster Stadtarchiv zeigt. Am 24. September 1864 gingen zwei Männer von Weiden nach Oggau. Nicht wie heute, dem Ufer entlang, sondern durch den ausgetrockneten See. Allerdings: Die Kruste brach an mehreren Stellen ein, die Wanderer sanken „bis über die Knie“ in den Schlamm und schafften es nur mit letzter Kraft und nach mehreren Pausen an sandigen Stellen ans gegenüberliegende Ufer.

Neusiedler See historisch
Idyllische Sonnenuntergänge über dem Neusiedler See konnte man nicht immer vom Boot aus genießen.
Foto: Wagentristl, Wagentristl

Diese sogenannten „Zickwolken“ (nach denen auch der Zicksee benannt ist) führten bei den Anwohnern der Seegemeinden oft zu Augenentzündungen und verschiedenen akuten Erkrankungen der Atemwege. Entgegenwirken wollte man der Versalzung durch die Staubwolken in Form von Salzabbau - dieser sollte der Bevölkerung und der chemischen Industrie zugutekommen. Daraus wurde freilich nichts.

Ein Zusammenschieben des Salzes zu kleinen Hügeln für den Abtransport scheint nur schwer möglich, weil das Salz von den ständig herrschenden Winden immer wieder verblasen wird. Aus einem Gutachten von Professoren der k.u.k. Landwirtschaftlichen Lehranstalt

Auch für Flora und Fauna hatte die Austrocknung Folgen: „Das Weidevieh, welches früher Seewasser trinken konnte, muss jetzt an Brunnen getränkt werden, welche natürlich erst gegraben werden müssen. Das Überstauben mit Zickerde ist sicherlich für die Vegetation nachteilig“, so die Experten des Komitats Wieselburg 1866. Einige Winzer widersprechen dieser Darstellung aber heute: Etwa Joseph Umathum freut sich bei den Weingärten um den Zicksee über mineralische Erde als optimalen Dünger.

Überschätzte Chancen: geplatzter Traum vom Ackerbau

Die Menschen um den See suchten aber auch die positiven Aspekte - und überschätzten diese gehörig. „Gewonnen wurden aber an 60.000 Joch (etwa 300 Quadratkilometer) Land“, heißt es in dem Protokoll weiter. Für den Ackerbau war der Boden aber entgegen der Hoffnungen nicht nutzbar („der Wert als Kulturland ist freilich noch problematisch“).

Neusiedler See historisch
Die historischen Dokumente wie Ratsprotokolle im Ruster Stadtarchiv zeichnen die Geschichte des Neusiedler Sees.
Foto: Stadtarchiv Rust

In den Dokumenten aus jener Zeit (1866) finden sich auch mehrere Überlegungen, wie man den See dauerhaft trocken halten kann um Feldbau zu betreiben und Straßen zu errichten, als Anstrengungen, dem See wieder Wasser zuzuführen - ganz im Gegensatz zur aktuellen Debatte.

Die Hoffnungen, dass hier nachhaltig brauchbare Weideflächen entstehen würden, war groß und wurden letztlich schon bald enttäuscht. Denn auf die Ebbe folgte die Flut.

Trockenheit brachte Rust Grundbesitz am See

Bevor aber das Wasser wieder kam, rückte - typisch für das Burgenland - wieder die Bodenfrage in den Vordergrund. Die Freistadt Rust diskutierte mit Fürst Paul Esterházy über den Kauf von nun trockenem Seegrund, so sicher waren sich viele, dass der See nicht wieder gänzlich zurückkehren würde. Bürgermeister Johann Pauer und die Mehrheit der Stadträte wollten 1.000 der insgesamt 2.800 Joch (etwa 680 Quadratkilometer), die übrigen abgeordneten forderten über 1.800 Joch.

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Von der Moson-Donau konnte das Wasser nicht mehr über die Raab und Rabnitz abtransportiert werden. Durch großflächige Überschwemmungen füllte sich auch rasch wieder der Neusiedler See.
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Sollte Esterházy das Angebot nicht annehmen, würde man vor Gericht ziehen, so die Ruster Drohung. Das Gegenangebot des Fürsten: 400 Joch. Auch typisch burgenländische setzte sich eher der Fürst durch, als die Freistadt: Sein Angebot waren 500 Joch, allerdings vom „besseren“ Boden vom heutigen Hafen nördlich Richtung Oggau, oder 600 Joch Richtung Mörbisch - etwa die heutige Ruster Bucht.

Erst sprachen sich die Vertreter der Freistadt dafür aus, verhandelten dann aber doch weiter. Detaillierte Verträge liegen nicht vor, schlussendlich dürfte man sich mit dem See-Eigentümers auf knapp 670 Joch geeinigt haben, denn diese Fläche entspricht dem heutigen Seegrund der Freistadt (390 Hektar).

Der See kam zurück - mit bis zu 3 Metern Höhe!

Damals eher eine schlechte Nachricht für Rust, denn man hatte sich eigentlich Ackerland erhofft, aber: Der See kam zurück. Aus heutiger Sicht war die Verhandlung damit dennoch ein voller Erfolg für die Storchenstadt: So wanderten vom Fürsten - die Stiftung als Rechtsnachfolger hält heute noch 75 Prozent der Seefläche - heute besonders kostbare Flächen ins Eigentum der Gemeinde.

Die Fischerei war unterdessen wegen Wassermangels und Übersalzung gänzlich zum Erliegen gekommen, kaum noch Fische lebten im See. Als 1870 der See langsam wieder begann sich nach einem schneereichen Winter zu füllen, kamen allmählich auch wieder die Fische zurück - wie genau, ist dabei unklar.

Neusiedler See historisch
Berufsfischer Fritz Augsten mit einem Netz voller Aale.
Foto: zVg Familie Augsten

Nachdem die Moson-Donau in den Folgejahren über die Ufer trat und Rabnitz und Raab das Wasser nicht mehr abtransportieren konnten, stieg der Pegel rasch an. Der See näherte sich Podersdorf auf etwa 200 Meter und hatte eine Tiefe von 60 bis 80 Zentimetern erreicht. In Fertörakos wurden die neuen Äcker überschwemmt. Bald kamen die Wasservögel wieder in großen Mengen und es zeigten sich auch wieder die ersten Fische.

1872 erhielt der See über den Hansag von der Rabnitz und Raab viel Wasser. Der Wasserstand in der Moson-Donau war damals so hoch, dass der Abfluss von der Raab her gehemmt wurde, die rückstauenden Gewässer die Dämme durchbrachen und in den See gedrängt wurden. Aus Aufzeichnungen des österreichischen Fischereiverbandes

Auf die Trockenheit folgte ein nasses Jahrzehnt, der Seepegel stieg unaufhörlich. Die Pläne für Straßen und Feldbau wurden im wahrsten Sinne des Wortes weggespült. 1876 hatte der See bereits wieder seine ursprüngliche Größe erreicht. Bis zum Jahr 1880 stieg der Wasserstand des Neusiedler Sees auf unglaubliche zwei bis drei Meter Wassertiefe. Die Häuser in Podersdorf waren nur noch wenige Meter vom Wasser entfernt, die Kapelle in Fertörakos stand gar unter Wasser.

Während der Trockenphase waren in der Mexikopuszta im Nationalpark Gebäude errichtet worden - diese wurden nun erbarmungslos weggespült oder abgerissen. Es folgt ein hin- und her: Der Wasserstand sinkt ab 1881 wieder, der Neusiedler See friert in einem besonders kalten Winter 1891 bis zum Boden durch - die Fische verenden in großer Zahl. Nochmals zehn Jahre später, Anfang des 20. Jahrhunderts, kommen die Fische aber erneut zurück.

Der Neusiedler See: auf und ab - und trotzdem hier

Die Geschichte lehrt uns: Ein Steppensee geht, ein Steppensee kommt. Aber nicht alle Auswirkungen, die dieser Wandel mit sich bringt, sind im 21. Jahrhundert noch tragbar. Bis auf den Nationalpark ist die Region eine Kultur- und keine Naturlandschaft, vom Menschen geprägt, mehr noch als vom Wetter. Und ein Blick in die Geschichte des Neusiedler Sees legt auch nahe: Entscheidend sind nicht die Veränderungen der Natur, sondern der Umgang des Menschen damit.

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