Probleme und Chancen: Der große BVZ-Überblick zum Thema Neusiedler See

Erstellt am 31. März 2023 | 11:30
Lesezeit: 7 Min
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Dem Neusiedler See geht das Wasser aus. Ob der See verschwinden darf oder gerettet werden muss, wird über die Grenzen des Burgenlands hinaus heiß diskutiert.
Foto: Shutterstock, Eva-Maria Demuth
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Kaum ein Thema bewegt die Burgenländer derzeit so sehr wie der dramatische Wassermangel des Neusiedler Sees. Die BVZ hat die wichtigsten Zahlen und Fakten zusammengetragen und die Antworten auf die wichtigsten Fragen gesammelt.

Neusiedler See In den vergangenen Wochen gab es eine Fachtagung, eine Diskussionsveranstaltung und sogar ein populär-wissenschaftliches Buch zum Neusiedler See. Auch vergeht keine Woche ohne Leserbriefe und Facebook-Diskussion zu dem Thema. Der enorme Andrang zeigt: Es ist Zeit, den Wissensstand zusammenzufassen.

Wo kommt das Wasserproblem her?

Vor dem Bau des Einserkanals war der See durch extreme Wasserstandsschwankungen und sich stark ändernder Ausdehnung gekennzeichnet. Es wechselten Zeiten völliger Austrocknung mit Hochwasserperioden, in denen ganze Ortschaften überschwemmt wurden. Keine günstigen Bedingungen für landwirtschaftlich genutzte Flächen. Mit dem Bau unzähliger Entwässerungskanäle im Seewinkel und im Hansag sowie des Einserkanals wurde der See kontrolliert. Dieser Eingriff in das natürliche Ökosystem wiegt nun schwer und ist eine der Hauptursachen des aktuellen Problems des niedrigen Wasserstands.

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Einige Seehütten, etwa in der Ruster Bucht, waren im Spätsommer des Vorjahres kaum oder gar nicht mehr zu erreichen.
Foto: Shutterstock, Eva-Maria Demuth

Der Wasserhaushalt des Sees regelt sich größtenteils durch Niederschlag und Verdunstung. Bleibt nachhaltige Winterfeuchte aus, kann die hohe Verdunstung im Sommer nicht kompensiert werden. Wie viel Seewasser an einem Sommertag verdunstet, verdeutlichten Experten wiederholt mit einem anschaulichen Vergleich: Es ist die dreifache Menge der Kubatur des Stephansdoms.

Wo kommt das Wasser her, wenn nicht vom Himmel?

Dass derzeit weniger Wasser fällt, ist eine Momentaufnahme. Bei einer von den Grünen organisierten Fachtagung Ende Feber gingen sowohl Landes-Hydrologe Georg Wolfram als auch sein WWF-„Gegenspieler“ Bernhard Kohler von 16 Prozent mehr Regenfällen bis zum Jahr 2030 aus. Das sei aber keine Entwarnung: Die Regenfälle treten vermehrt als Starkregenereignisse auf und durch die gleichzeitig größere Anzahl von Trockenperioden kann der Boden das Regenwasser nicht mehr so gut aufnehmen. Durch die Entwässerungsmaßnahmen sind wir sehr gut darin geworden, Wasser aus einem Hochwassergebiet hinauszutransportieren („alpines Wassermanagement“). Jetzt geht es darum, dieses Wasser möglichst lange in der Region zu halten („mediterranes Wassermanagement“).

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Der dramatische Wassermangel am Neusiedler See wird beim ersten Blick auf die Grafik des Hydrografischen Dienstes ersichtlich. Der mittlere Wasserstand des Sees liegt fast 60 Zentimeter und dem Durchschnitt seit Messungsbeginn 1965.
Foto: BVZ, Peter Wagentristl

Auch wenn der Einser Kanal meistens zu ist, hermetisch abgeriegelt werden kann er nicht, wertvolles Wasser wird durchgehend abgegeben. Dieses alpine Wassermanagement ist auch der Grund, wieso sich ein eventuell ausgetrockneter See nicht mehr so schnell füllen wird, wie bei der letzten Austrocknung im 19. Jahrhundert: Das Hochwasser rinnt eben nicht mehr in den tiefsten Punkt unserer Region, also den See und den Seewinkel, sondern einfach Richtung Ungarn ab. Und nicht nur das Hochwasser: Bisher leiten viele Gemeinden des Seewinkels ihr Abwasser nach Bruck an der Leitha ins Klärwerk, von der verschwindet es über die Leitha nach Ungarn. Aus dem Amt der Landesregierung hieß es dazu gegenüber der BVZ, dass eine Umkehrung – also ein Verbleib des Seewinkler Abwassers im Seewinkel – dem See etwa vier bis fünf Zentimeter einbrächte. Eine bisher vernachlässigbare Größe. Bisher. Mittlerweile zählt aber jeder Zentimeter.

Schaden Landwirtschaft und die Zuleitung dem See?

Der WWF warnt vor einer „Aussalzung“ des Sees durch die Zufuhr von Flusswasser. Der Chemismus von Donauwasser ist ein andere als der des salzhaltigen Wassers des Neusiedler Sees. Wegen des Sodagehalts bleiben anorganische Trübepartikel in Schwebe. Die Trübe ist entscheidend, weil sie den Lichteintritt und damit das Algenwachstum begrenzt. Das Land Burgenland betonte wiederholt, nur geringe Mengen Donauwasser zuführen zu wollen. Ziel ist es den See als Landschaftselement zu erhalten.

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Hier sollte eigentlich Wasser statt Schlamm zu sehen sein. Der niedrige Wasserstand verändert auch die Landschaft um den See.
Foto: BVZ, Peter Wagentristl

Die Landwirte im Seewinkel stehen immer wieder unter heftiger Kritik, sie würden durch Bewässerung ihrer Äcker für den sinkenden Pegel des Neusiedler Sees mitverantwortlich sein. Fakt ist, dass der See nicht mit dem Grundwasserkörper verbunden ist. Der derzeit enorm niedrige Grundwasserpegel im Seewinkel ist aber durchaus der intensiven Landwirtschaft geschuldet. 5.100 Brunnen gibt es im Seewinkel. In einigen Regionen gilt schon (teilweises) Bewässerungsverbote für Bauern, da Pegelgrenzwerte unterschritten wurden.

Kampf gegen Schlamm, Schilf – und Windmühlen?

Die Debatte um den Schlamm ist keinesfalls neu, Schlammsaugarbeiten sind schon seit Jahrzehnten gängig. Einige der Schlammabsetzbecken um den Neusiedler See wurden bereits im Jahr 2003 angelegt. Damals war das Ausgangsniveau Ende März zwar um einen halben Meter (!) besser als 2023, ein extrem trockener und heißer Sommer führte allerdings damals zu fast doppelt so starker Verdunstung wie im — ohnehin dramatischen — Jahr 2022.

Der Tiefststand im Jahr 2003 lag noch sechs Zentimeter über dem aktuellen Pegel. Schon damals war die Rede von möglicher Austrocknung, die öffentliche Diskussion ähnelte der aktuellen erschreckend. Allerdings: Das verregnete Jahr 2004 brachte erhebliche Entspannung, im positiven wie im negativen. Zwar waren die sorgen somit vom Tisch — aber auch die Bemühungen um Wasserzuleitung oder mehr Einsatz für ein nachhaltiges Schlamm- und Schilfmanagement. Nicht zuletzt deshalb wird von Kennern des Sees oft fatalistisch betont: Die Situation ist derzeit so dramatisch, dass die Diskussionen wieder ernsthaft geführt werden.

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Kampf dem Schlamm. Derzeit werden von der Seemanagement GmbH des Landes diverse technische Methoden für die Schlammentsorgung und Schilfbewirtschaftung in der Praxis getestet. Richtig los geht es dann erst ab Herbst.
Foto: BVZ, Peter Wagentristl

Und nochmals zehn Jahre später standen erneut Krisensitzungen ins Haus. Aus heutiger Sicht allerdings nicht mehr nachvollziehbar: Im März erreichte der See Rekordpegel mit 75 Zentimer höherem Wasserstand als aktuell. Daraufhin wurde via Einserkanal Wasser abgelassen, 40 Zentimeter gingen so bis September verloren. Allerdings waren damit noch immer fast 60 Zentimer mehr Wasser im See als zur gleichen Zeit im Jahr 2022.

Der Wassermangel führt aber auch zu Trockenheit und in weiterer Folge vermehrt zu Bränden. In den letzten Wochen brannten zwischen Winden und Breitenbrunn über 200 Hektar Schilf nieder, zwischen Mörbisch und Fertörakos wenig später weitere rund 150 Hektar. Wie schlimm die Auswirkungen für die Umwelt sind, hängt dabei von der Jahreszeit ab. In der Brutsaison wären derartige Brände für die Vogelpopulation und andere Tiere katastrophal.

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Verbrannte Erde. Der Schilfgürtel des Neusiedler Sees stand heuer bereits zweimal großflächig in Flammen. Der Schaden für die Natur hielt sich dabei aber in Grenzen.
Foto: BVZ, Peter Wagentristl

Derzeit weint aber kaum jemand dem Schilf auch nur eine Träne nach. Optisch sind die riesigen schwarzen Flächen zwar nicht gerade schön anzusehen. Allerdings saugt das Schilf enorm viel Wasser und verdunstet es wegen der großen Angriffsfläche wesentlich schneller. Weniger Schilffläche bedeutet also weniger Verdunstung. Und einen Schilfmangel gibt es wohl nicht zu beklagen.

Austrocknen lassen oder um jeden Tropfen kämpfen?

Einigkeit herrscht dabei keinesfalls, ob Eingriffe in den See ökonomisch notwendig oder ökologisch vertretbar sind. So gehen die Meinungen auch bei Experten deutlich auseinander: Das Land bringt etwa ein Gutachten vor, dass die Wasserzuleitung über die Moson-Donau in Ungarn als unbedenklich beurteilt. Das Wasser sei sogar geeigneter als jenes aus der Wulka (der einzige See-Zufluss), meint etwa Christian Sailer, Leiter der Task Force Neusiedler See. Anders sehen es Experten wie Christian Schuhböck von der Alliance for Nature, der das Gutachten des Landes scharf anzweifelt und sich um den Chemismus sorgt: zu kalkhaltiges Wasser könnte dazu führen, dass der See klar wird, was unabsehbare Folgen für Flora und Fauna hätte.

Diametral gegenüber stehen sich etwa auch Grüne und FPÖ. Während die Grünen betonen: „Der Tourismus braucht den See nicht“, widersprechen die Blauen vehement und brechen für technische Lösungen wie den Seezufluss eine Lanze.

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Die Ruster Bucht mit ihren Schilfhütten ist für viele Menschen im Sommer ein zweites Zuhause. Heuer wird es allerdings kritisch, Boote mit zu viel Tiefgang können bei noch geringerem Wasserstand stellenweise nicht mehr fahren.
Foto: BVZ, Wagentristl

Noch völlig unabsehbar sind auch die Folgen einer Austrocknung für Gesundheit und Weinbau. Aus dem 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts, als der See das letzte Mal austrocknete, gibt es beunruhigende Berichte: gereizte Augen, Staubwolken in den Weingärten und Lungenkrankheiten waren demnach um den See zu dieser Zeit allgegenwärtig.

Experten der BOKU bringen dagegen ein anderes Szenario als wahrscheinlichste Entwicklung ins Spiel. So könnte der See teilweise austrocknen und sich in mehrere „Neusiedler Lacken“ teilen, die untereinander nicht mehr miteinander verbunden sind.

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Düstere Aussichten. Eine schnelle Lösung für die dramatische Wasserproblematik ist derzeit nicht in Sicht. Vor allem längere Regenperioden wären für das Ökosystem enorm wichtig.
Foto: BVZ, Wagentristl

Schnelle Lösungen gibt es jedenfalls nicht. Schilfmanagement entfaltet erst langsam eine Wirkung auf den Wasserstand, Schlammsaugen kann ohnehin nur lokale Probleme beseitigen, keine großflächigen Lösungen bringen. Und bis ein Seezufluss realisiert ist, wird es angesichts der Dimension eines solchen Projektes wohl noch viele Jahre dauern. Einige Optionen müssen noch ausführlicher geprüft werden. Kurzfristig hilft also nur eins: Regen, Regen und noch mehr Regen.

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