Herbert Mandl: „Im Nachwuchs herrscht Leere“

NÖN: Interne Streitigkeiten im Vorstand, Kritik vom Ex-Präsidenten, Trainerrücktritte – den ÖSV nahm man zuletzt eher als Intrigenstadl denn als funktionierenden Verband wahr. Warum ist das so?
Herbert Mandl: Die Aussagen von Patrick Ortlieb (Anm. Finanzreferent und Vizepräsident des ÖSV) waren kritisch, aber keinesfalls ein Angriff. Manche Medien haben das aufgebauscht. Man kennt Ex-Präsident Peter Schröcksnadel. Der sprang dann darauf auf und das hat das unschöne Hin und Her ausgelöst. Dazu muss man aber wissen, dass Schröcksnadel bezüglich Ortlieb einen Sinneswandel sondergleichen hingelegt hat. Er war es ja, der Ortlieb einst als Präsidenten forciert hatte, und jetzt zieht er gegen ihn ins Feld.
Was sind die Hintergründe? Gehört das zum Abnabelungsprozess von Schröcksnadel dazu?
Mandl: 30 Jahre kann man nicht von heute auf morgen abschütteln. Das ist klar. Der Hintergrund sind Interessen, die das Marketing betreffen. Die FIS will vermehrt in Richtung Zentralvermarktung. Schröcksnadel fürchtet, dass das auf Kosten der Verbände geht, und wehrt sich dagegen, auch wenn er nicht mehr Präsident ist. Und offenbar hätte er sich da von Ortlieb mehr erwartet.
Und warum kehrt im Betreuerstab keine Ruhe ein?
Mandl: Als ich die Position des Sportdirektors übernommen habe, waren Maßnahmen notwendig. Ganz einfach deshalb, weil die Sportchefs bei Frauen und Männern aufgehört haben.
Mit Livio Magoni wurde Slalom-Ass Katharina Liensberger vor der Saison ein Startrainer zur Seite gestellt. Der trat mittlerweile zurück. Warum funktionierte die Zusammenarbeit nicht?
Mandl: Magoni hat freiwillig das Handtuch geworfen. Es gab nicht nur Differenzen mit Katharina Liensberger, sondern auch mit deren Mutter. Das sage ich ganz offen.
Macht es überhaupt Sinn einzelnen Fahrerinnen oder Fahrern eigene Trainer bereitzustellen? Wie groß müssen Trainingsgruppen sein, damit sie am besten funktionieren?
Mandl: Topläufern kann man das zugestehen. Grundsätzlich ist Mannschaftstraining aber zielführender. Skifahrer brauchen Sparringspartner. Sechs Läufer ist eine optimale Gruppengröße in den Technikbewerben. Da geht am meisten weiter.
Haben einzelne Topfahrerinnen, wie eben Liensberger, strukturelle Schwächen kaschiert?
Mandl: Topfahrer werfen Schatten, das ist klar. Und ja, da wurde in der Vergangenheit zu wenig auf die jungen Läufer geschaut. Das Technik-Team der Frauen ist da ein gutes Beispiel. Mit Liensberger und Truppe gibt es zwei arrivierte Läuferinnen. Sonst ist nicht viel da. Das muss man ganz klar sagen. Bei den Speed-Frauen schaut‘s besser aus. Da wäre die Qualität da, da bringen wir aber zu selten die Ergebnisse ins Ziel.
Und bei den Herren?
Mandl: Ähnlich. Bei den Technikern sind Feller und Strolz schnell, bringen es aber zu selten ins Ziel. Und im Speed-Team haben wir mit Vinzent Kriechmayer einen absoluten Topfahrer, dahinter wird‘s dann aber auch dünn.
Auch deshalb, weil mit Matthias Mayer der zweite Topfahrer mitten in der Saison seine Karriere beendete. Viele Fans werden das Gefühl nicht los, dass da irgendein Puzzleteil fehlt, um seinen plötzlichen Rückzug zu erklären. Kennen Sie es?
Mandl: Mayer hat große Erwartungen an sich selbst gehabt. Für ihn zählte heuer nur die Abfahrtskristallkugel und die WM. Für mich war das der Hauptgrund, warum er aufgehört hat. Nachdem er aufgrund einer Erkrankung die Bormio-Abfahrt versäumt hatte, war für ihn klar, dass die Kristallkugel wahrscheinlich weg sein würde. Mayer hat sich nie so leicht damit getan, sich zu überwinden und Risiko zu nehmen. Weil ihm da das große Ziel abhanden kam, hat er es dann gleich ganz sein lassen. Das ist meine Erklärung. Dazu muss man auch wissen, dass er schon nach der Olympia-Saison in diese Richtung überlegt hat. Und: Er wollte immer ein spektakuläres Ende seiner Karriere. Das ist ihm damit gelungen. Für uns war aber auch klar, dass wir so einen Topfahrer nicht so einfach ersetzen können.
Müssen wir uns auf magere Jahre einstellen? Wo sind die Topfahrer, die nachkommen?
Mandl: Im Nachwuchs, besonders in den Jahrgängen 2000 bis 2004, herrscht ziemliche Leere. Das ist Fakt.
Ex-Fahrer und TV-Experte Hans Knauß kritisierte zuletzt, dass zu wenig Geld bei den Landesverbänden lande und zu viel bei der Spitze. Hat er recht?
Mandl: Die Landesverbände haben Geldsorgen. Das ist kein Geheimnis. Der ÖSV kann aber auch nicht das Budget der Landesverbände bestreiten, das ist auch klar. Die wirtschaftliche Situation ist überall schwierig. Ich sehe aber eher bei den Vereinen Förderbedarf, da wird‘s dann nämlich richtig schwierig.
Es ist immer wieder zu hören, dass die finanzielle Belastung für Eltern talentierter Kinder zu hoch wäre. Von wie viel Geld sprechen wir da?
Mandl: Als 16-jähriger FIS-Läufer, der Richtung ÖSV-Kader strebt, muss man schon mit 15.000 Euro im Jahr rechnen.
Niederösterreich hatte mit Dorfmeister, Sykora oder Zettel stets Top-Athleten. Aktuell schaut’s eher düster aus. Warum?
Mandl: Gallhuber hätte durchaus das Zeug an die Genannten anzuschließen. Sie ist halt aktuell verletzt.
Wird sie nach zwei Kreuzbandrissen noch einmal den Anschluss finden?
Mandl: Das traue ich ihr zu. Zwei Kreuzbandrisse? Die hatte in der Weltspitze fast jeder Athlet. Das ist leider nicht ungewöhnlich und gehört zum Skisport fast dazu.
Und Katharina Huber? Ihre Leistungen scheinen in den letzten Jahren eher zu stagnieren…
Mandl: Im Herbst sah das bei ihr ganz gut aus. Sie ist dann in Sölden gestürzt und seither fehlt etwas das Vertrauen. Ich muss aber klar sagen: Die Zündung, damit es irgendwann Richtung Podium geht, fehlt bei ihr. Das ist dann am Ende schon auch eine Qualitätsfrage.
Sie kehrten vor dieser Saison für viele überraschend nach neun Jahren Abwesenheit zum ÖSV zurück. Warum?
Mandl: Ganz weg vom Skisport war ich ja nie. Ich hatte eine Funktion bei der FIS und die Leidenschaft zum Rennsport war immer da. Zudem war ich als Gastronom tätig. Das wurde durch Covid immer mühsamer. Das war auch ein Grund, warum mir die Entscheidung leichter fiel, in den Skizirkus zurückzukehren.
Ihre Ziele?
Mandl: Wir müssen uns von unten herauf neu aufstellen. Da gibt es eine Lücke.
Schröcksnadel nannte als Zielsetzung vor Großveranstaltungen immer sechs bis acht Medaillen als Ziel. In vielen Jahren klang das nach Untertreibung. Wie lautet Ihre Zielsetzung für die in wenigen Tagen beginnende WM in Meribel?
Mandl: Fünf bis sechs Medaillen sind realistisch. In zwölf Bewerben sollte uns das gelingen. Noch einmal: In den Speedbewerben bei Frauen und Herren und bei den Technikern sind wir schnell. Wenn wir das in Resultate ummünzen, dann passt das.
Abschließend: Das Thema Klimawandel wird immer präsenter. Wird‘s den Skisport in dieser Form in zehn Jahren noch geben?
Mandl: Zehn Jahre würde ich bejahen. Die verschärfte Klimaentwicklung wird sich festsetzen, Schnee wird es aber weiterhin geben. Er wandert halt weiter hinauf. Was den Weltcup betrifft, waren wir ja bislang auch schon auf Maschinenschnee angewiesen, ansonsten lässt sich ja keine Piste so präparieren, wie sie für den Rennsport benötigt wird. Solange wir Ski fahren, wird es auch den Rennsport geben.