75 Jahre Russen-Einmarsch: „Befreier oder Besatzer?“

Erstellt am 09. April 2020 | 04:16
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Erstkontakte meist freundlich. Ein russischer Soldat im Gespräch mit der Bevölkerung von Lockenhaus.
Foto: BVZ
Am Gründonnerstag 1945 kamen sowjetische Soldaten bei Klostermarienberg über die deutsche Reichsgrenze.
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 Am Gründonnerstag vor 75 Jahren – damals der 29. März – marschierten die Russen ein. „Unser heutiges Burgenland war das erste österreichische Bundesland, das vom faschistischen Joch – vom Deutschen Reich – durch die Russen befreit wurde. Genau in der Mitte der Reichschutzstellung Nord und Süd – zwischen Lutzmannsburg und Güns – stießen die sowjetischen Verbände der 2. und 3. Ukrainischen Front am 29. März 1945 durch die deutsche Reichsgrenze, zwischen der Tanzer Mühle in Lutzmannsburg und Klostermarienberg“, erklärt der Lutzmannsburger Historiker Oswald Gruber, der den Einmarsch mit historischem Quellmaterial und Zeitzeugenbefragungen aufgearbeitet hat.

„Der Südostwall, in diesem Abschnitt in bis zu vier Linien gegliedert, fällt praktisch ohne einen Schuss. Sowjetische Frontaufklärungstrupps hatten von Herbst 1944 bis Frühjahr 1945 die Reichsgrenze und den Südostwall erkundet.“

Sowjettruppen waren angehalten, die Österreicher als Befreite zu behandeln

Schon Mitte März flohen, wie Gruber rekonstruiert hat, viele Lutzmannsburger Familien mit Kuh- und Ochsen- bzw. Pferdewägen ins oberne Rabnitztal und die Bucklige Welt, wo sie bis zu zwei Wochen geblieben sind. Die Sowjettruppen waren angehalten, die Österreicher als Befreite zu behandeln, weshalb der Kontakt der ersten Kampftruppen mit der Bevölkerung laut Gruber meist korrekt und freundlich gewesen sei.

Dies bestätigt eine Zeitzeugin aus Klostermarienberg: „So gegen Mittag, hat eine Frau aufgemacht und hat gesagt; Kommt‘s raus, die Russen sind hier, das sind brave Menschen. Und wir sind dann wirklich raus vom Keller und die haben da Zuckerl und alles Gute ausgeteilt.“ Doch die nachfolgenden Truppen hätten sich das geholt, was ihnen, wie sie glaubten, als „Siegesbeute“, zusteht. Auch wenn das Oberkommando Exzesse verurteilte, sei es auf die örtlichen Kommandanten angekommen, ob sie in der Lage und willens waren, die Zivilisten und insbesondere Frauen und Mädchen zu schützen.

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Zerstörte Kirche. Das Horitschoner Gotteshaus wurde von den Russen in Brand gesteckt.
Foto: zVg

In Horitschon wurde Pfarrer Josef Bauer von den Russen in der Nacht auf Karsamstag erschossen. Eine Horitschonerin schilderte dies in ihrem Tagebuch so: „Pfarrer Bauer hat keine Angst, als die Russen kommen und gibt ihnen sogar Wein... Nach einiger Zeit kommen andere russische Soldaten in den Pfarrhof und wollen ein Mädchen vergewaltigen. Im Nachthemd stürzt sich unser Pfarrer auf den Russen. Dieser schlägt ihn mit dem Gewehrkolben nieder und als der Pfarrer zu Boden fällt, erschießt er ihn.“

„Die große historische Frage ist und war: Waren die Russen Befreier oder Besatzer?“

Am Karsamstag Morgen startet eine aus Neckenmarkt kommende SS-Gruppe einen Gegenangriff und eröffnet von Dächern und Häuserecken das Feuer auf die Russen. Abends dann die Vergeltung – vor jedem Haus, wo tote Russen liegen, werden Männer und Burschen herausgeholt und erschossen, Häuser in Brand gesetzt. 40 Gebäude, darunter mehr als die Hälfte Wohnhäuser und die Kirche, wurden Raub der Flammen. Es gab über 50 Tote zu beklagen. Gruber, der seine Forschungen nach der Corona-Krise fortsetzen möchte, abschließend: „Die große historische Frage ist und war: Waren die Russen Befreier oder Besatzer?“

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