Herbert Gruber: „Das ist Dauerstress“. Herbert Gruber, Vorstand der Abteilungen für Intensivmedizin in Oberwart und Güssing und Intensivkoordinator im Burgenland, über die COVID-Situation in den Spitälern.

Von Carina Fenz. Erstellt am 03. April 2021 (06:44)
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Herbert Gruber spricht im BVZ-Interview über überlastete Intensivstationen und die enorme Arbeitsbelastung von Ärzten und Pflegern.
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BVZ: Die KRAGES-Krankehäuser gehen in den Notbetrieb. Ziemlich dramatisch auf den ersten Blick. Noch dramatischer wahrscheinlich auf den zweiten Blick?
Herberg Gruber:
Die Situation in den Spitälern ist prekär, vor allem was die Intensivstationen betrifft. Wir sind in der letzten Eskalationsstufe angelangt. In den vergangenen Tagen wurden die Beatmungsplätze für Covid-Fälle auf 27 aufgestockt. Für Non-Covid-Patienten gibt es aktuell zehn Plätze, was insgesamt eine deutliche Steigerung der Bettenanzahl im Intensivbereich angeht. Konkret heißt das, dass es deutlich weniger Ressourcen für Non-Covid-Patienten gibt, was bedeutet, dass wir einerseits nur mehr akute Operationen durchführen können und andererseits bedeutet das, dass wir die Personalressourcen, so gut wie möglich nutzen müssen. Wir mussten auch Pflegepersonal aus fachverwandten Bereichen rekrutieren.

BVZ: Was heißt das konkret für das Krankenhaus Oberwart?
Gruber:
In Oberwart beispielsweise haben wir in Normalzeiten acht Intensivplätze, jetzt wurde auf 15 erweitert – also fast verdoppelt.

BVZ: Haben Sie Ähnliches in ihrer Berufslaufbahn erlebt?
Gruber:
Bislang war die Angst vor einem Massenunfall vielleicht groß. Hier müsste man viele Patienten schnell versorgen. Der Unterschied ist aber, dass solche Patienten die Intensivstation schneller verlassen, als Covid-Patienten. Bei einem Massenunfall hätte man auch die Möglichkeit Patienten in anderen Spitälern unterzubringen. Aktuell ist das nur eingeschränkt möglich.

BVZ: Schildern Sie die Lage auf den Intensivstationen?
Gruber:
Die aktuelle Situation ist neu. Das ist Dauerstress, auch durch den großen Zustrom an Patienten, die lange auf der Intensivstation verbleiben. Die Belastung für das Personal und auch der Aufwand sind riesengroß. Betreuung und Versorgung von Covid-Patienten ist sind aufwändig, da sie regelmäßig umgelagert werden müssen.

BVZ: Der Hut in den Krankenhäusern brennt. Was sagen Sie dazu, dass man eine Woche gewartet hat, um zu Ostern in den Lockdown zu gehen?
Gruber:
Als Mediziner muss ich sagen, dass die Einschränkungen im öffentlichen Leben so rasch, wie möglich zu vollziehen sind. Vor allem, um die 7-Tages-Inzidenz zu senken und das ohnehin schon belastete System zu entlasten. Dafür zuständig ist aber die Politik und ich bin froh, dass ich diese Entscheidung nicht treffen muss.

BVZ: Wie lange dauert es in etwa, bis man auf der Intensivstation landet?
Gruber:
Im Durchschnitt dauert es rund zwei Wochen, bis man auf der Intensivstation landet. Es kommt auch immer wieder vor, dass Menschen direkt von der Notaufnahme in die Intensivstation kommen.

BVZ: Wie viele Intensivbetten werden frei, weil die Patienten die Covid-Erkrankungen nicht überleben. Wie wirkt sich das auf die Kollegen aus?
Gruber:
Die Sterblichkeit bei Covid-Patienten ist überdurchschnittlich hoch. Auf einer Intensivstation liegt diese — ohne Pandemie — bei rund 15 bis 20 Prozent. Bei Covid-Patienten bei rund 40 Prozent. Bei Erkrankten, die über 70 Jahre sind, sogar bei 70 Prozent. Dieser Umstand wirkt sich auch beim Personal aus, denn die Energie im Arbeitsalltag ist enorm hoch und gleichzeitig hat man aber das Wissen, dass man oft nicht erfolgreich ist. Das belastet nicht nur physisch, sondern auch psychisch enorm. Auch wenn wir es gewöhnt sind in unserem Beruf mit dem Thema Tod umzugehen, ist die aktuelle Lage eine ganze andere Kategorie.

BVZ: Was erwarten Sie von der Politik? Befürchten Sie nach Ostern zu starke Lockerungen?
Gruber:
Das muss man differenziert betrachten, denn wir leben nicht nur auf der Intensivstation, sondern auch noch zu Hause im privaten Umfeld. Da stellt man sich auch die Frage, wie lange man noch zu Hause eingesperrt ist. Ein harter Lockdown ist nicht immer sinnvoll. Es muss nicht immer alles mit der Brechstange funktionieren. Viel mehr sollten die Leute Verantwortung für sich selbst, aber auch die Gesellschaft insgesamt übernehmen. Darüber nachzudenken, welche Kontakte sind unbedingt notwendig, welche nicht, hat definitiv mehr Sinn. Verständlicherweise ist die Bevölkerung coronamüde, aber es geht darum, die Erkrankung ernst zu nehmen und um einen freiwilligen Beitrag von jedem. Das muss man nicht verordnen.

BVZ: Ist die angekündigte Osterruhe nur ein Tropfen auf dem heißen Stein oder reicht die kurze Pause, um die Zahl der Intensivpatienten zu senken?
Gruber:
Die Menschen müssen sich an die Maßnahmen halten, die man mittlerweile gar nicht mehr wiederholen muss. Wir haben derzeit keine andere Möglichkeit und dessen müssen wir uns bewusst werden. Wichtig ist auch, sich impfen zu lassen, denn mit zunehmender Impfbereitschaft können wir aus dem Dilemma herauskommen. Im April müssen wir mit diesen bekannten banalen Maßnahmen durchhalten, damit bis zum Sommer ein halbwegs normales Leben möglich wird.

BVZ: Hätten Sie vor einem Jahr gedacht, dass Sie jemals in die Lage kommen könnten, entscheiden zu müssen, wer beatmet wird und wer nicht?
Gruber:
Zum Glück war das noch nie Thema bei uns und wird hoffentlich nie zum Thema werden. Wir haben ein klares Eskalationsschema. Zusätzlich zu unseren Kapazitäten gibt es eine Notfallposition, die am nächsten Tag frei sein muss, um neue Patienten behandeln zu können. Man darf aktuell auch nicht ganz so pessimistisch sein, sondern lieber proaktiv Maßnahmen setzten.

BVZ: Was ist das Schlimmste derzeit an Ihrem Job? Die Ungewissheit oder hat man gar keine Zeit darüber nachzudenken?
Gruber:
Die enorme Arbeitsbelastung und die Dienstdichte haben extrem zugenommen. Das ist bei Ärzten und beim Pflegepersonal so. Diesen Zustand kann man maximal über ein paar Wochen durchhalten, Monate geht das nicht. Im Team ist die Kommunikation sehr offen. Was ich aber deutlich sagen muss, ist, dass die Bereitschaft der Mitarbeiter enorm hoch ist und das ist mehr als lobenswert. Die gesamte Mannschaft ist bereit in akuter Not zu helfen. Das ist unsere ureigenste Aufgabe, fordert aber von jedem extrem viel Energie. Wir sind auf einer Gratwanderung, wie wir sie noch nie erlebt haben.

BVZ: Viele Leute reden nach wie vor von einer Grippe. Was wollen Sie diesen sagen?
Gruber:
Die Grippe ist mit einer Covid-Erkrankung nicht vergleichbar. Covid ist viel aggressiver und die Patienten erkranken früher und schwerer. Was wir jetzt merken, ist, dass die Patienten jünger werden. Unsere Aufgabe ist es klar zu machen, dass niemand davor gefeit ist zu erkranken. Es kann jeden treffen und jeder muss auch seinen Beitrag leisten. Nur dann können wir es gemeinsam schaffen.

BVZ: Was hat die Intensivmedizin über Covid-19 gelernt?
Gruber:
Wir behandeln nach Leitlinien und hier hat sich seit dem Vorjahr viel entwickelt, vor allem, wie die Patienten behandelt werden müssen. Außerdem wird viel Fachliteratur veröffentlicht und geforscht, wie bei kaum einer anderen Krankheit. Es ist täglich eine Herausforderung auf dem neuesten Stand zu bleiben. Wir lernen jeden Tag dazu, Patienten optimal zu versorgen. Man muss aber sagen, es gibt kein Medikament, das die Erkrankung stoppt, die Therapien sind unterstützend.

BVZ: Wegen der hohen Belastung der Intensivbetten durch Covid-19 gibt es auch viele Sorgen um Nicht-Covid-Patienten. Durch verschobene Operationen oder mangelnde Behandlung könnten „Kollateralschäden“ entstehen.
Gruber:
Tatsache ist, dass man derzeit viele akute Patienten hat, die Covid haben. Die andere Seite sind Patienten des täglichen Lebens, die weiterhin optimal versorgt werden und eine adäquate Behandlung bekommen. Dann gibt es eben Operationen, die zwar dringlich sind, aber nicht unmittelbar durchgeführt werden müssen. Hier ist es immer eine Einzelfrage, wann wir operieren und wann nicht. Da werden Gespräche in allen Fachrichtungen geführt, welche OPs, zu welchem Zeitpunkt stattfinden müssen. Patienten, bei denen Behandlungsbedarf gegeben ist, muss man versorgen. Wenn es noch vertretbar ist, wird die OP verschoben. Dieses Akutprogramm bleibt so lange aufrecht, wie es notwendig ist, voraussichtlich aber bis Ende April.

BVZ: Zum Schluss etwas Privates. Wann haben Sie das letzte Mal am Stück mehr als fünf Stunden geschlafen?
Gruber:
Regelmäßig, denn Schlaf ist für Körper und Geist wichtig.

BVZ: Wie gehen Sie persönlich mit der aktuellen Situation um?
Gruber:
In der Arbeit versuche ich mich, bestmöglich zu schützen. Privat lebe ich ein normales Leben mit meiner Familie und mache viel Sport, auch um meinen Körper im Gleichgewicht zu halten.