Roland Leser: Der Pionier aus der zweiten Reihe

Wie kann ich ein Fußballmatch aufnehmen, visuell aufbereiten und anhand der Daten und Fakten wichtige Rückschlüsse auf die individuelle Leistung jedes einzelnen Spielers ziehen?
Im modernen Fußball liegen die Antworten längst am Tisch. Taktik Feeds, also Bewegtbilder, die alle Spieler zeigen und für die tägliche Arbeit der Trainer relevant sind, gehören zum Standard-Repertoir. Spielanalysten zerpflücken ein Match, bereiten relevante Szenen vor, bedienen sich einer entsprechenden Software und sind längst ein normaler Vollzeit-Part des Betreuerstabs, um die Mannschaft durch treffsichere Analyse weiterzuentwickeln.
Das war nicht immer so. Noch vor etwas mehr als 20 Jahren schlummerte Fußball-Österreich in dieser Hinsicht im Dornröschenschlaf. Damals hatte sich ein Sportwissenschafts-Student aus Girm bei Deutschkreutz gerade ans Werk gemacht, um seine Diplomarbeit zu verfassen: Roland Leser. Der junge Mann, der seine aktive Karriere beim FC Deutschkreutz relativ bald beendet hatte, verband die Liebe zum Fußball mit der Liebe zum Detail auf Ebene der Sportinformatik, die ihn ebenfalls in seinen Bann zog. „Computerunterstützte Sportspielanalyse im Fußball“ nannte sich das Magister-Ticket, das, wenn man so will, Lesers beruflich-sportliches Einstiegstor werden sollte.
„Damals gab es gerade zwölf Ordner voll Literatur und wenige Quellen, heutzutage kann man ganze Bibliotheken füllen. In Italien war das Thema schon präsenter, in Deutschland dann auch, in Österreich noch gar nicht. Die Trainer wussten zwar viel, haben das aber nicht aufgeschrieben oder weitergegeben“, erinnert sich der heute 46-Jährige an die Anfänge zurück.
So war es Leser vorbehalten, rot-weiß-rote Basisarbeit zu leisten. Und den Zufall Regie führen zu lassen. Die Wiener Austria wurde durch einen Artikel von Lesers Professor und Mentor Arnold Baca über die Arbeit des Mittelburgenländers aufmerksam. Unter dem Traner-Duo Walter Hörmann/Toni Pfeffer wurde er Ende 2000 als externer Mitarbeiter engagiert, um den Veilchen aufbereitetes Videomaterial zu liefern. Als österreichweit Erster seiner Zunft? „Was die systematische digitale Aufbereitung betrifft, war ich das sicher. Ich war demnach der erste Analyst im allgemeinen Sinn. Was die Vollzeit-Spielanalyse betrifft, so wie sie heutzutage üblich ist, war einige Jahre später dann Richi Kitzbichler von Red Bull Salzburg der Erste.“ Der kickte Anfang der 2000er allerdings noch fleißig als Profi und stieg erst knapp zehn Jahre später ins Geschäft abseits des Spielfelds ein.
Roland Leser: Der Pionier aus der zweiten Reihe. Roland Leser war in Österreich bei der Geburt der digitalen Fußball-Spielanalyse federführend. Trotzdem steht der Deutschkreutzer Sportwissenschaftler nicht im Rampenlicht der großen Fußballbühne. Lieber bleibt er im Hintergrund, wo er auf verschiedenen beruflichen Spielwiesen aktiv ist.
Leser wiederum sah in seiner Zeit als Austria-Zulieferer insgesamt 16 Trainer kommen und gehen, die unweigerlich von seinen analytischen Fortschritten profitierten. So programmierte der Sportinformatiker, der parallel mit dem Doktorat die wissenschaftliche Karriere auch vorantrieb, auch seine eigene Software. „Die Trainer sind natürlich darauf angesprungen, dass sie Szenen in meinem Programm anklicken konnten und nicht beim VHS-Recorder hin und herspielen mussten.“ Der erste Coach, der diese neue Erfahrung laut Leser „begeistert“ annahm, war Jogi Löw, von Sommer 2003 bis März 2004 Austria-Coach, ehe er später mit dem deutschen Nationalteam für (weltmeisterliche) Furore sorgte. Bis 2013 sollte die Zeit als externer Austrianer dauern. Nach dem Meistertitel des Trainerduos Peter Stöger und Manfred Schmid verabschiedete sich Leser zum TV-Bezahlsender Sky, wo er seitdem als Analyst tätig ist. Freilich im Hintergrund. Vor der Kamera geben Experten wie Alfred Tatar, Andi Herzog, Marc Janko, Marko Stankovic und Co. ihre analytischen Ausführungen zum Besten, im Hintergrund hat Roland Leser alles im Griff, um relevante Szenen aufzubereiten.
Vom U21-Team-Analysten bis zum Buchautor
Schon damals stand einer seiner Studenten an seiner Seite: Stephan Helm. Der Pamhagener, mittlerweile Cheftrainer des SKN St. Pölten, war ebenfalls voll im sportwissenschaftlichen Taktik-Modus und sprang so an der Seite von Leser auf diesen Zug auf. Nicht der einzige Fußball-Freak, der den Sprung ins Geschäft schaffte und seine Uni-Karriere bei Leser vorantrieb. Stefan Oesen, mittlerweile Chef-Analytiker des Nationalteams, der Oberwarter Daniel Seper, Oesens Analyse-Nachfolger bei Rapid und nun Co-Trainer bei den Hütteldorfern, Philipp Steiner, Ex-Mattersburg-Profi und jetziger Trainer der St. Pölten Juniors, sie alle hatten beruflich unmittelbar mit Roland Leser zu tun.
Vor allem die Sky Sport Austria-Schiene hat der „Analyse-Redakteur“ seinen motivierten (Ex-)Schülern stets als schmackhaftes Betätigungsfeld und potenzielles Sprungbrett eröffnet. Derzeit arbeitet an seiner Seite auch ein alter Bekannter aus dem Burgenland. Stefan Manzana-Marin, vor seiner Namensänderung hierzulande als Stefan Fuhrmann bekannt und von Juli 2021 bis März 2022 Sportlicher Leiter der Fußballakademie Burgenland, werkt derzeit mit seinem ehemaligen Uni-Professor bei Sky.
Warum Leser selbst nicht das Sprungbrett zur großen Fußballbühne als Trainer oder Vollzeit-Analyst nutzt? Weil ihn das Trainergeschäft nie elektrisiert hat und er trotz der Liebe zur Spielanalyse unterschiedliche Betätigungsfelder braucht, wie der verheiratete Vater zweier Töchter zugibt. „Ich bin da sehr stark diversifiziert“, spielt er auf seine Tätigkeitsbereiche ab, die in Summe den großen Spaß bringen. Drei Jahre war er auch beim österreichischen Kajak-Nationalteam als Analyst tätig. In diesem Kontext überrascht das fast nicht mehr. „Ich liebe hier die Abwechslung. Das ist für mich die Würze des Lebens.“ Dass Leser trotz der hohen Qualitäten in der Öffentlichkeit vergleichsweise unbekannt ist, stört ihn da gar nicht. „Rampenlicht oder Prestige interessieren mich nicht, das ist eine Typsache. Ich bin ein Familienmensch, habe beruflich lieber meine Ruhe und tu' das, was mir Spaß macht. Da fühle ich mich wohl.“ Langweilig wird Leser ohnehin nicht. Das Paket Uni-Lehrjob, Tätigkeit bei Sky sowie auch Aufträge im Zuge von ÖFB-Trainerfort- und ausbildungen wurde seit sieben Jahren um einen weiteren wichtigen Punkt erweitert: Seit 2016, damals bei Österreichs U17, ist er im ÖFB-Nachwuchs als Spielanalyst im modernen Sinn aktiv, mittlerweile im fixen Stab von U21-Teamchef Werner Gregoritsch. „Diese Tätigkeit lässt sich mit allen anderen Bereichen verbinden, auf die Lehrgänge freue ich mich immer extrem. Vor allem hat sich die Technik in den letzten Jahren gemeinsam mit der Taktik und dem methodischen Wissen rasant weiterentwickelt – es taugt mir, nicht nur zu lehren, sondern das auch selbst auszuüben.“ Die wissenschaftliche Ebene kommt ohnehin nicht zu kurz. Gemeinsam mit Manfred Uhlig veröffentlichte Leser zuletzt „Das Fußballspiel unter der Lupe“ – ein Fußballfachbuch, wo auf über 300 Seiten die neuesten Erkenntnisse moderner Spielanalyse aufbereitet sind, gängige Analyse-Werkzeuge, Taktisches und Statistisches inklusive.
Die Ebene der Ratio als punktgenauer (TV-)Analyst, Buchautor und Uni-Lehrender hat Roland Leser also in ihren Bann gezogen. Dass er ein Geschäft bedient, wo vor allem Emotion und Leidenschaft zählen, stört ihn gar nicht, denn: „Die Sichtweise ist oft sehr stark getrieben – gewinnst du, ist alles gut, verlierst du, ist fast alles schlecht. Das muss man aber objektivieren, und genau das mache ich. Sehr gerne.“