Emotionale Vernachlässigung schränkt Hirnentwicklung ein

Es ist die häufigste Form der Kindeswohlgefährdung, und doch fällt sie oft nicht auf: Die Vernachlässigung. Während körperliche Vernachlässigung, wie Mangelernährung, nicht entsprechende Kleidung und Wohnraum viel schneller erkennbar sind, werden eine erzieherische und kognitive Vernachlässigung von Kindern öfter übersehen.
„Die Kinder bekommen wenige Anregungen oder Förderungen zur motorischen, kognitiven, emotionalen und/oder sozialen Entwicklung“, so Petra Birchbauer, Vorsitzende im Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren, bei einer Online-Pressekonferenz am Mittwoch. Die Folgen der Vernachlässigung würden dabei oft bis ins hohe Erwachsenenalter reichen. Konkrete Zahlen dazu gibt es in Österreich kaum. In Deutschland hat eine Studie 2017 jedoch ergeben, dass neun Prozent der Befragten schwere Formen der körperlichen Vernachlässigung erfahren haben und über sieben Prozent sehr schwere Formen von emotionaler Vernachlässigung.
Renate Doppel, Psychologin und Gerichtssachverständige sieht die Verwahrlosung jedoch auch in der Kinderschutzforschung unterrepräsentiert. „Wir scheinen uns mehr auf Aufzählen und Beschreiben der sichtbaren Auswirkungen von Verwahrlosung zu konzentrieren, und beachten viel zu wenig die zugrunde liegende Psychodynamik von Eltern und Kindern“, so Doppel. In Österreich würde oft nur „Oberflächenkosmetik“ betrieben. Werden die Bedürfnisse von Kindern etwa nach Schutz, Sicherheit und Ermutigung nicht wahrgenommen, kann es unter anderem zu Defiziten in den Bereichen Wahrnehmung, Motorik, Sprache und Affektkontrolle kommen.
Neben der Forschung würde es laut Birchbauer auch mehr Investitionen in Prävention brauchen. Außerdem müsste die soziale Sicherung von Familien breiter aufgestellt werden – so die Forderung.
Hohes Risiko für psychische Erkrankungen
Emotionale Vernachlässigung von Kindern trägt außerdem zu einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen bei, wie Neurobiologin Nicole Strüber erklärt. Vernachlässigung wirkt sich nämlich auch auf die Hirnstrukturen aus. „Viele der Veränderungen sind grundsätzlich reversibel, allerdings setzt dies voraus, dass Kinder entwicklungsgerecht und nicht altersgerecht gefördert werden und die wichtigen Erfahrungen nachholen können“, sagt Strüber. Hier sei also rasches Eingreifen gefragt.
Am 12. und 13. Mai wird dem Schutz der Kinder noch einmal besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet. Dann findet in Wien die zweite Kinderschutztagung statt. Das Programm ist online zu finden.